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Hofgärtner Hermann Sello


Potsdam
Hermann Sello 1848 (Degas)

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Johannes Nietner – Gärtner und Plantagenbesitzer auf Ceylon

Pflanzen- und Insektensammler

»One could certainly wish for more information on John Nietner (died 1874) "the late Prussian-born British subject" ...., who did so much for the study of insects and other animals in Sri Lanka«, so heißt es in einer Buchbesprechung, die am 22. Juli 2007 in der "Sunday Times", einer englischsprachigen Sonntagszeitung, in Sri Lanka erschienen ist. – Der Wunsch, mehr über Johannes Nietner zu erfahren, veranlasste auch uns, nach Informationen zu suchen. Im Archiv der Hofgärtner Hermann Sello Familienstiftung gibt es nicht mehr als ein paar eher zufällige Informationen, selbst die Namen, die er in der Taufe erhalten hatte, konnten erst im Sommer 2007 ermittelt werden. Die Familienüberlieferung besagte nur, dass er Besitzer einer Kaffeeplantage auf Ceylon (heute Sri Lanka) gewesen sei. Ernst Haeckels "Indische Reisebriefe" gaben den weiterführenden Hinweis, dass Johannes Nietner als Gärtner im botanischen Garten in Paradeniya tätig gewesen war.
Allmählich wurde uns deutlich, dass John Nietner, wie er sich nun nannte, ein bedeutender Sammler und Forscher gewesen ist, der sich große Verdienste um die Erforschung von Sri Lankas Pflanzen- und Insektenwelt erworben hat. Lang ist die Liste z. B. der Laub- und Lebermoose, die nach ihm benannt worden sind, noch länger die Liste der Coleoptera und anderer Käfer, die er nach London, Berlin und Wien schickte, um sie dort bestimmen zu lassen. – Die folgende Zusammenfassung unserer Recherchen kann keine Würdigung seiner wissenschaftlichen Verdienste sein, es ist das Lebensbild eines besonderen Mitglieds der Hofgärtnerfamilien Sello und Nietner.

Herkunft

Johannes Nietner ist ein Spross der beiden preußischen Hofgärtnerfamilien Sello und Nietner, die miteinander verschwägert waren. Die Sellos standen seit 1720, die Nietners seit 1769 in den Diensten der Hohenzollern.

Joh. Justus Sello
Planteur im Tiergarten 1718-1768
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Anna Catharina Sello ∞ Joh. Joseph Nietner
Planteur Niederschönhausen
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Christian Wilhelm Nietner
Hofgärtner Niederschönhausen
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Bertha Sello ∞ Theodor I. Eduard Nietner
Hofgärtner Paretz † Niederschönhausen
|
Johannes Werner Theodor Nietner

John Nietner
links: Johannes Werner Theodor Nietner bzw. John Nietner
*19.05.1828 in Paretz bei Potsdam
† 1874 in Colombo oder Bombay
rechts: Rückseite der Fotografie
(Foto: Portraitsammlung des Deutschen Entomologischen Instituts (DEI)
im Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung (ZALF))

Getauft wurde er auf die Namen Johannes Werner Theodor, gerufen wurde er Johannes – das war ein häufig vorkommender Name in der traditionsreichen Hofgärtnerfamilie Nietner. In der wissenschaftlichen Literatur wird er als „John“ oder „Johan“ bezeichnet.
Sein Vater Theodor Eduard Nietner (1790-1871) wirkte seit 1822 als Hofgärtner in dem abgelegenen Paretz, dem einstigen Sommersitz und Refugium von Königin Luise und Friedrich Wilhelm III. Johannes Mutter, Charlotte Louise Albertine gen. Bertha (1802-1835), entstammte der Hofgärtnerfamilie Sello; ihre beiden Brüder Hermann und Emil waren Hofgärtner in Sanssouci.

Am 19.05.1828 wurde Johannes in Paretz, nahe Potsdam, geboren, er und seine Geschwister Theodor, Louis, Pauline und Paul verlebten dort ihre frühe Kindheit. 1832 übersiedelte die Familie nach Niederschönhausen, dem einstigen Sommersitz der Königin Elisabeth Christine, der ungeliebten Gattin Friedrichs II. Johannes Vater war auf die dortige Hofgärtnerstelle berufen worden, die vor ihm schon sein Großvater Johann Joseph Nietner – auch er hatte eine Sello-Tochter geheiratet – und sein Vater Christian Wilhelm Nietner innegehabt hatten.
Bertha Sello starb schon 1835, bald nach der Geburt eines weiteren Kindes. Drei ihrer Söhne sind Gärtner geworden. Der älteste, Theodor II, wurde traditionsgemäß Hofgärtner, der nächste, Louis, ging 1848 als Mitglied der holländischen Kolonialtruppen nach Java und starb dort im Juni 1849. Johannes ging 1851 nach Ceylon.
Wir wissen nicht, was die Brüder in die Ferne gezogen hat, vielleicht war es die Neugierde des Forschers, die schon ihren entfernten Verwandten, den Brasilienforscher Friedrich Sello aufbrechen ließ? Faszination durch die tropische Natur, Abenteuerlust und Unternehmungsgeist dürften eine Rolle gespielt haben; unter Umständen konnte man auch in den Kolonien ein Vermögen machen und sich dann ein luxuriöses Leben in Deutschland leisten.

Als John Nietner auf Ceylon

Johannes ging also nach Ceylon (heute Sri Lanka), und zwar war er als Gärtner im Botanischen Garten in Peradeniya angestellt, der noch heute existiert. Ceylon, ursprünglich portugiesische und dann holländische Kolonie, war seit dem Wiener Kongress (1815) endgültig in britischem Besitz. 1819 wurde der Garten in Peradeniya von der englischen Regierung angelegt, wenige Meilen von der alten Königsstadt Kandy entfernt. Ernst Haeckel (1834-1919), der Ceylon 1888/1882 bereiste, schildert in seinen „Indischen Reisebriefen“ die ganze Pracht dieses Gartens und nennt ihn „das Herz dieses botanischen Paradieses,“ als das er ganz Ceylon ansieht.
Johannes Nietner gewann bald die Freundschaft von Dr. Thwaites, dem langjährigen Direktor des Botanischen Gartens; beide widmeten sich der Erforschung der ceylonesischen Flora. Johannes Nietner interessierte sich außerdem für die große Familie der Käfer. In der ersten Nummer der „Berliner entomologischen Zeitschrift“ von 1857 findet sich folgende Anzeige:
„Herr John Nietner in Rambodde auf Ceylon wünscht sich mit Entomologen in Verbindung zu setzen, welche geneigt sind, Theile seiner dortigen Ausbeute wissenschaftlich zu bearbeiten. Briefe können an ihn direkt oder an Herrn Hofgärtner Nietner (Niederschönhausen, unweit Berlin) gerichtet werden.“ Sammlungen von Nietner finden sich im Deutschen Entomologischen Institut, im Museum für Naturkunde in Berlin, auch im Naturhistorischen Museum in Wien und im Britischen Museum in London bei den Sammlungen von Dr. Thwaites. Seine kleine Schrift: „Entomological papers: Being chiefly descreptions of new Ceylon coleoptera, with such observations on their habits, etc., as appear in any way interesting“ / John Nietner, Ceylon 1857, gelangte u.a. in die Staatsbibliothek Berlin (heute Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität) und kann im Lesesaal eingesehen werden. [Entomologie=Insektenkunde; coleoptera=eine Käferfamilie]

Der Plantagenbesitzer

Später machte Nietner sich mit einer Kaffeeplantage selbstständig. Als Johannes 1863 einen Besuch in der Heimat machte, gab er als Beruf „Plantagenbesitzer“ an. Von diesem Besuch wissen wir nur durch eine kleine Zeitungsanzeige, die von seiner Schwester Pauline aufbewahrt worden ist:

Verlobungsanzeige
Verlobungsanzeige von Johannes Nietner und Julie Burghalter,
aufgeklebt auf die Einladung zur Hochzeit von
Pauline Nietner und Hermann Rosenthal
(Foto: Familienbesitz)
Verlobungsbild
Die Verlobten John Nietner und Julie Burghalter
(Foto: Familienbesitz)

Julie und Johannes werden noch 1863 geheiratet haben und dann nach Ceylon gesegelt sein.
Fast zehn Jahre lang haben Johannes und seine Frau eine Kaffeeplantage in der Gegend von Rambodde bewirtschaftet. Sie werden in einem bequemen Bungalow gewohnt haben, mit großer Dienerschaft, wie es dazumal üblich war. Zur Erntezeit kamen Tamilen als Wanderarbeiter vom indischen Festland – die einheimischen Singhalesen arbeiteten nicht auf den Plantagen. Ernst Haeckel spricht in seinen „Reisebriefen“ ausführlich über die Kaffeeplantagen auf Ceylon. Klima und Bodenbeschaffenheit in einer bestimmten Höhenlage hätten sich als überaus günstig für den Kaffeeanbau erwiesen. Rücksichtslos wurde der dichte Urwald, der die Gegend bedeckte, abgeholzt, mit „Feuer und Axt“, wie Haeckel sagt. Er ist gänzlich unberührt von der Tatsache, dass der Lebensraum für alle Waldbewohner vernichtet wurde. Es kümmert ihn überhaupt nicht, dass die den Urwald bewohnenden Vellahs, die Ureinwohner der Insel, vom Aussterben bedroht sind, „ … diese wilden Horden“ stehen für den Darwinisten Haeckel in der menschlichen Rangliste ganz unten. (Die letzten Überlebenden der Urbevölkerung vegetieren bis heute am Rande der Gesellschaft.)
Zwischen 1845 und 1850 hatte es einen „Kaffeeboom“ gegeben, den Haeckel mit einem Goldrausch vergleicht. Danach machten viele Plantagenbesitzer Pleite. Vielleicht konnte Johannes deshalb in der folgenden Konsolidierungszeit günstig eine Plantage erwerben. Als später ein Pilz die Kaffeepflanzen vernichtete, stellte man auf Teeanbau um. Schon 1861 hat sich Johannes Nietner mit der Krankheit des Kaffeestrauchs beschäftigt, sein Aufsatz: „J. Nietner, The Coffee tree and its enemies, being observations on the natural history of the enemies of the Coffee tree in Ceylon.“ wurde offenbar mehrfach nachgedruckt; das Exemplar der Staatsbibliothek Berlin ist wahrscheinlich im Krieg verloren gegangen.
Er korrespondierte nicht nur mit Berliner Entomologen, sondern auch mit der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Im Sitzungsprotokoll vom 5. März 1853 wird er zweimal erwähnt. Zunächst sprach der Vorsitzende Herr Ritter „über die von Herrn Johannes Nietner über Mauritius verfasste Schrift und bemerkte, dass man daraus manche Belehrung über das dortige Klima, die Vegetation und Bevölkerungsverhältnisse schöpfen könne.“ Johannes hatte auf Mauritius Station gemacht, als er auf dem Weg nach Indien war. Nach seiner Ankunft in Indien war er wohl nach Dehli gereist, bevor er nach Ceylon und nach Kandy ging. „Herr Zelle las einen Bericht des Naturforschers Herrn Johannes Nietner über eine Reise, welche derselbe im November v. J. [1852] von Calcutta nach Dehli gemacht hatte.“ An das Berliner Museum schickte er eine Probe Seesand an Christian Friedrich Ehrenberg, der sich mit Mikropaläontologie beschäftigte. Auch eine Sendung von mehr als 70 Arten „ants“, zur Familie der Ameisen gehörig, schickte er nach Berlin, wie im 13. Band der „Annals of Natural History“ lobend erwähnt wird.

Der Sammler

Julie Burghalter
Julie Burghalter
(Foto: Familienbesitz)

Aber auch als „wohlhabender Besitzer großer Kaffeeplantagen“ hat er nie die Lust verloren, „reiche Pflanzensammlungen in vorzüglicher Ausstattung zu seinem Vergnügen herzustellen“, wie es im „Lexikon deutschsprachiger Bryologen“ heißt.
Offenbar blieb ihm genügend Muße, Pflanzen, und Insekten zu sammeln, Herbarien anzulegen und zu vertreiben. Pflanzen und Insekten, die später in Europa bestimmt wurden, sind nach ihm benannt worden.
Von einer Sammlung Lebermoose, die von ihm „in dem sogenannten »Feenlande« in Poondeloya 1868 in der Höhe von 4000 bis 8000 Fuß gemacht wurde“, berichtete der Arzt und Hobby-Bryologe Carl Moritz Gottsche 1886 vor der Gesellschaft für Botanik zu Hamburg, wie im Lexikon deutschsprachiger Bryologen zu lesen ist:

Mahnbrief des Johann Nietner
Mahnbrief des Kgl. Hofgärtners
Theodor Nietner vom 28. Juni 1860 an das
K. K. Naturhistorische Museum,
Abteilung Entomologie
(Deutsches Entomologisches Institut (DEI)
im Leibniz-Zentrum für
Agrarlandforschung (ZALF))

„Von Nietners Moossammlungen aus Ceylon sind zahlreiche, vor allem Lebermoose, von Stephani, als neu beschrieben und einige nach ihm benannt worden: so Lejeunea nietneri (=R. javanica). Radula nitneri (=R. javanica)“, usw. – Die Laubmoose „seines verehrten Freundes“ bestimmte und publizierte C. Müller (1869), darunter sind Acroporium nietnerianum (C. Müller), Broth. Brachymenium nietneri (C. Müller). Käfersammlungen schickte er zum Bestimmen nach St. Petersburg und nach Königsberg. Diese Sammlungen gelangten an die Harvard Universität, USA.
Um den Verkauf einiger Sammlungen an naturhistorische Museen kümmerte sich Johannes Vater, der Kgl. Hofgärtner Theodor Nietner. Nicht immer klappte es mit dem Bezahlen, wie aus seinem Brief vom 28. Juni 1860 an das „K. K. Naturhistorische Museum, Abteilung Entomologie zu Wien“ hervorgeht: Falls die ausstehenden 60 Taler für eine Käfersammlung nicht umgehend beglichen werden sollten, werde er sich an die K. K. Österreichische Gesandtschaft wenden.

Leider war es Johannes Nietner nicht vergönnt, die Früchte seiner Arbeit zu ernten. 1874 wollte das Ehepaar Nietner in die Heimat zurückkehren. Johannes starb in Colombo oder Bombay an Dyssentherie. Seine Witwe kehrte nach Potsdam zurück und bewahrte seinen Nachlass. Gartendirektor Jühlke berichtet von einer „Sammlung ceylonesischer Hölzer in 163 Arten und Abarten“, sowie von einem „Finkennest aus Ceylon“, die über seine Witwe und Theodor II. Nietner, Johannes Bruder, in die Sammlung der Gärtnerlehranstalt gelangte und vermutlich im Krieg zerstört wurde.

Aus Ernst Haeckel: „Indische Reisebriefe“:

Ernst Haeckel – er ist in Potsdam geboren – war vor seiner Reise nach Ostasien bei Julie zu Gast, wie wir aus einem der Briefe erfahren:
„Dr. Thwaites ist der verdienstvolle Verfasser einer ersten F l o r a   v o n   C e y l o n ‚ welche unter dem Titel "Enumeratio Plantarum Zeylaniae" 1864 in London erschien. Er hat darin gegen 3000 verschiedene Gefäßpflanzen beschrieben, also etwa den dreißigsten Teil aller Pflanzenarten, die damals von der ganzen Erde bekannt waren. … Das Exemplar der Flora von Ceylon, welches ich selbst bei mir führte, gehörte früher einem deutschen Botaniker aus Potsdam, Nietner. Derselbe war als junger Gärtner auf die Insel gekommen, hatte sich durch fleißige und umsichtige Tätigkeit später eine bedeutende Kaffeeplantage erworben und war während eines Vierteljahrhunderts auch für die Naturgeschichte von Ceylon (insbesondere durch Entdeckung neuer Insekten) vielfach tätig, leider starb er kurz vor der Rückkehr in die deutsche Heimat. Seine Witwe, die gegenwärtig wieder in Potsdam lebt und von der ich vor Antritt meiner Reise viele wertvolle Mitteilungen und Instruktionen erhielt, hatte in freundlichster Weise mir neben anderen Büchern ihres verstorbenen Gatten auch die Flora von Thwaites zum Geschenk gemacht, welche der Verfasser selbst letzterem dediziert hatte. Es war nun keine geringe Freude für den trefflichen alten Herrn, als ich ihm dieses Exemplar der Flora mit seiner eigenhändigen Dedikation zeigte, jedenfalls war es das erste Exemplar seines Werkes, welches ein Botaniker von Ceylon nach Deutschland gebracht hatte und welches nun in der Hand eines Zoologen nach der Insel zurück kehrte!“


SE. 16.08.2008


Literatur:


Bildnachweis:


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